Berlin, 21.01.2016

Die historische Herausforderung der Flüchtlinge

Dr. Georg Kippels – MdB

Liebe Bürgerinnen und Bürger des Rhein-Erft-Kreises,
täglich und nahezu minütlich erreichen mich Mails, Briefe oder Anrufe oder auch persönliche Kontaktaufnahmen, mit denen Sie, meine verehrten Damen und Herren, Ihre aktuellen Eindrücke und hierauf aufbauend Ihre Sorgen und Befürchtungen mitteilen. Es ist für mich sehr gut nachvollziehbar, dass die grundlegenden Veränderungen in unserem Umfeld und vor allen Dingen Ereignisse wie in der Silvesternacht in Köln die Menschen grundlegend verunsichern und auch verängstigen.

Der Terroranschlag mit vielen deutschen Todesopfern in Istanbul steigert die Verunsicherung noch einmal mehr. Dies ist für mich, als Ihr Wahlkreisabgeordneter im Deutschen Bundestag, erneut Veranlassung, auf diese Empfindungen einzugehen, aber auch einige Zusammenhänge klarzustellen. Gerade in besonders schwierigen und vom Ablauf her komplizierten Zeiten ist es erforderlich, den Dialog zwischen Politik und Bürger so intensiv wie möglich zu führen.

Die militärischen, terroristischen und kriminellen Auseinandersetzungen im Nahen Osten sowie im nördlichen und mittleren Afrika führen dazu, dass Menschen sowohl aus Angst um ihr Leben, aber auch mit dem Wunsch nach einem besseren Leben ihre Heimat verlassen. Dass diese sich in Richtung Deutschland auf den Weg machen ist nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass wir seit Jahrzehnten in diesen Ländern als Entwicklungshelfer bekannt geworden sind, nunmehr aber es nahezu jedem über die modernen Kommunikationstechniken möglich ist, Informationen und vor allen Dingen auch verlockende Bilder unseres Heimatlandes zu erhalten. Natürlich sind von diesen Verlockungen nicht nur die guten Menschen dieser Völker angesprochen, sondern zu aller Leidwesen auch kriminelle, die ihren Vorteil im Unrecht suchen.

Dies ist allen Abgeordneten des Deutschen Bundestages und auch den Vertretern unserer Bundesregierung vollkommen bewusst und wir widmen uns zurzeit dieser Aufgabenstellung tagtäglich im Rahmen unserer politischen Verantwortung. Die Lösung dieser Aufgabe hat jedoch auf jeden Fall eine Dimension, die von uns allen ein besonderes Maß an Geduld, Toleranz und Verständnis abverlangen wird. So sehr, wie der Wunsch nach einer schnellen Lösung auch für mich vollkommen verständlich ist, halte ich es für eine fahrlässige Täuschung, wenn diejenigen, die von Obergrenze und sofortiger Schließung unserer Grenzen sprechen, den Eindruck erwecken wollen, dass dies tatsächlich zu einer ganz kurzfristigen Veränderung führen würde. Jedem Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion ist sehr wohl bewusst, dass schnell und effektiv gehandelt werden muss.

Ebenso bewusst ist uns aber auch, dass sowohl unser Staatssystem als auch vor allen Dingen die Eigenständigkeit unserer Landesregierungen dazu führen, dass bestimmte Schritte eben nicht so schnell unternommen werden können, wie dies wünschenswert ist. Es gehört deshalb auch zur Wahrheit, dass eine Anpassung des Artikels 16 a unseres Grundgesetzes, dessen jetzige Fassung auf den besonderen Erfahrungen des Dritten Reiches basiert, und auch die Veränderung bundesgesetzlicher Vorschriften im Asylrecht, Strafrecht, Strafprozessrecht, Gerichtsverfassungsrecht etc. nur mit Zustimmung unseres Koalitionspartners und bei der Verfassung sogar unter Mitwirkung von Teilen der Opposition möglich ist.

Auch wenn mit dem Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz aufgrund der besonderen Situation die SPD überraschend schnell ihre Zustimmung zu grundlegenden Veränderungen erteilt hat und auch Verschärfungen der Ausweisungsvorschriften und des Strafgesetzbuches unter dem Eindruck der Kölner Ereignisse möglich wurden, ist es keineswegs so, dass auch die SPD in allen Bundesländern und vor allen Dingen in Koalition mit den Grünen die notwendigen und einschneidenden Gesetzesveränderungen
im Bundesrat mittragen würde bzw. die Gesetzesumsetzung auch immer konsequent erfolgt. Ein für mich besonders ärgerlicher Zustand ist in Nordrhein-Westfalen gegeben, wo bereits die Beschlüsse aus Oktober 2015 nicht oder nur sehr zögerlich umgesetzt werden. NRW ist das Schlusslicht in der Abschiebestatistik. Die seit Jahren vorgenommene Reduzierung unserer Schutzpolizei und die unzureichende Ausstattung an Ausrüstungsgegenständen wirkt sich nunmehr besonders dramatisch aus. Hier versuchen sowohl die nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten im Rahmen politischer Einflussnahme als auch die Landtagsfraktion die notwendigen Entscheidungen voranzutreiben.

Die vorläufigen Ermittlungsergebnisse in Köln deuten darauf hin, dass es sich bei großen Teilen der Täter um Personen handelt, die sich schon seit Jahren illegal in Deutschland aufhalten und denen die Polizei aufgrund der politischen Ausrichtung ihrer Führung nicht Herr geworden ist.

In der zurückliegenden Diskussion hat sich leider in vielfachen Punkten auch immer wieder herausgestellt, dass gesetzgeberische Maßnahmen, die theoretisch zu einer Einschränkung der allgemeinen Freiheitsrechte führen könnten, von einer großen Menge der Bevölkerung abgelehnt wurde. Ich erinnere hierzu an die Diskussion um den Datenschutz, die Vorratsdatenspeicherung und die Kompetenzen unserer polizeilichen und verfassungsrechtlichen Bundesämter. Der Wunsch nach einem Höchstmaß an Freiheitsrechten, der eine ganz besondere Errungenschaft unseres Grundgesetzes und unserer Bundesrepublik ist, erweist sich allerdings in Krisensituationen als besonders anfällig und verletzlich. Selbstverständlich gibt es keine Alternative zu unseren Freiheitsrechten, zu unserem Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Gleichstellung der Frau und des Schutzes von Eigentum.

Von diesen Positionen wollen und werden wir keinen Millimeter abweichen und alle rechtsstaatlichen Mittel einsetzen um diese effektiv zu verteidigen. Ich nehme zurzeit die Stimmung in der Bevölkerung auch so wahr, dass diese Umsetzung auch von unseren Staatsorganen konsequent erwartet und gefordert wird. Dies müssen wir allerdings gegenüber unserer Staatsgewalt mit dem Vertrauen
honorieren, dass diese sich im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bewegt, die danach vorhandenen Möglichkeiten aber auch vollends ausschöpfen darf.

Ich möchte allerdings die Gelegenheit auch dazu nutzen, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass diese notwendigen Zusammenhänge und Entscheidungen keinesfalls von unserer Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel alleine getroffen oder verantwortet werden könnten. Wir sollten nicht der Versuchung erliegen, die teilweise tatsächlich vorhandene oder so empfundene Hilflosigkeit stellvertretend auf unsere Bundeskanzlerin zu delegieren. Leider und zu meiner persönlichen Verärgerung ist diese Verhaltensweise sogar bei einigen Kolleginnen und Kollegen im Bundestag festzustellen. Diese Methode wird definitiv nicht zum Erfolg führen.

Nur durch eine Gemeinschaftsleistung der gesamten Politik und der Bevölkerung im Rahmen eines neuen gesellschaftlichen Konsenses zu Frieden und Sicherheit in unserer Bevölkerung werden wir die Aufgabe meistern können. Hierbei ist es allerdings garantiert zu spät, wenn wir glauben, den Flüchtlingszustrom tatsächlich erst an unseren Grenzen bewältigen zu können. Wer unter Einsatz seines Lebens tausende Kilometer zurückgelegt hat, der wird nicht an der Grenze zu Deutschland, wenn die Erlösung schon in Sichtweite ist, umkehren. Selbstverständlich muss dort eine effektive Kontrolle der Personen stattfinden, um erkennbar illegal zureisende Personen den Zutritt nach Möglichkeit zu verweigern.

Ebenso müssen wir jedoch in den jeweiligen Heimatländern helfen Anreize zu setzen, dass der Entschluss zur Flucht überhaupt erst nicht zur Entstehung gelangt. Auch hier haben wir keine abschließende Entscheidungsbefugnis sondern müssen bei unseren europäischen Nachbarn und Mitgliedsstaaten der europäischen Gemeinschaft ununterbrochen dafür werben, die Kräfte zu bündeln und in einem Schulterschluss die Sicherungsaufgabe vorzunehmen. Leider herrscht auch dort teilweise die Meinung vor, dass es ausreicht, wenn jedenfalls das eigene Land geschützt wird, auch wenn dies vielleicht zu Lasten von Deutschland geht.

Die vorstehenden Fakten sollen beschreiben, dass für die notwendigen Entscheidungen und die Umsetzung keinesfalls nur unsere Bundesregierung oder gar unsere Bundeskanzlerin verantwortlich ist. Dies kann man sehr wohl auch bedauern, muss aber auch zu der Erkenntnis führen, dass es ein Größtmaß an gesellschaftspolitischer Geschlossenheit bedarf, um die nötigen Schritte konsequent und zeitnah zu gehen. Ich halte es allerdings auch für geradezu contra produktiv die zweifelsfrei überaus ernste Situation durch theatralische Beschreibungen wie „die Stimmung kippt“ wiederzugeben. Der Wunsch nach Ruhe und Sicherheit wird keinesfalls schneller dadurch erreicht, dass man selbst den Boden unseres Rechtsstaates verlässt und mit einer Art Selbstjustiz glaubt, die Erfolge schneller erreichen zu können.

Die Geschichte lehrt und mahnt uns nachdrücklich, dass es bei solchen besonderen Herausforderungen an die Gesellschaft existenziell wichtig ist, den demokratischen Kräften die erforderliche Rückendeckung zu geben und nicht populistischen und nur machtgetriebenen Selbstdarstellern ein Podium zu bieten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns deshalb mit dem erforderlichen Schulterschluss die nächsten Entscheidungen treffen und umsetzen und fordern Sie mit Ihrer Intervention alle demokratischen Parteien auf, die notwendigen Mehrheiten zu finden. Wir werden für Sie auch mit meiner Stimme im Bundestag alle notwendigen Maßnahmen zum Erhalt der inneren Sicherheit unseres Landes umsetzen.