Berlin, 23. Oktober 2020

Corona-Pandemie – Nimmt der Bundestag seine Aufgabe ausreichend wahr?

Dr. Georg Kippels – MdB

Um sofort mit der Antwort zu beginnen: Ja – tut er!

Die Lage der Corona-Pandemie ist ernst, äußerst ernst und sie muss in der Tat ununterbrochen betrachtet werden und es müssen nahezu täglich, wenn nicht sogar manchmal kürzer Entscheidungen getroffen werden. Die Krise ist traditionell die Stunde der Exekutive und damit der Regierung, was aber in keiner Weise bedeutet, dass die Legislative und damit der Bundestag und die Länderparlamente tatenlos zusehen würden.

Ich halte es daher für eine vordergründige Oppositionsstrategie, eine Schaden für die Demokratie in die Debatte zu werden und damit einen Eindruck zu erzeugen, als seien die parlamentarischen Befugnisse vollkommen außer Kraft gesetzt. Umso bedenklicher sind daher die ersten Auswüchse in der Debatte in den sozialen Medien und auch mittels Mails, die in meinem und vielen anderen Abgeordnetenbüros eingehen und auf die Ermächtigungsgesetze des Dritten Reiches anspielen.

Es ist das gute Recht der Opposition anderer Meinung zu sein und dies auch kund zu tun. Ich verurteile aber die Vorgehensweise, die Funktionstauglichkeit des demokratischen Systems in Zweifel zu ziehen, wenn man nur mit dem demokratisch entstandenen Ergebnis nicht einverstanden ist. Dies wird dem Ernst der Lage nicht gerecht!

Im März wurde vom Parlament die pandemische Lage von nationaler Tragweite beschlossen und eine sehr detaillierte Verordnungsermächtigung nach Art 80 GG verabschiedet.

Noch vor der Sommerpause im Mai wurde zum ersten Mal über die Aufrechterhaltung der Lage debattiert und eine klare Mehrheit bestätigte die Einschätzung der Regierung ausdrücklich.

Am 17. September wurde erneut ein Antrag der FDP auf Aufhebung ausführlich debattiert und erneut abgelehnt, wobei die Koalition und die AfD ausdrücklich dagegen stimmten und sich Grüne und Linke enthielten. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw38-de-covid-791762

Die FDP stand daher mit ihrer Meinung vollkommen allein da. Die Demokratie hat vollkommen funktioniert, nur die FDP lag mit ihrer Bewertung vollkommen daneben. Das sollte man als guter Demokrat dann zumindest mal zu Kenntnis nehmen, auch wenn es einem nicht passen mag.

Darüber hinaus hat sich das Parlament in über 70 Vorlagen mit dem Thema der Pandemie befasst und diese beschieden sowie das BevölkerungssschutzG geändert sowie auch in den Haushaltsdebatte über die Hilfspakete und den Nachtragshaushalt alle denkbaren Aspekte der Pandemie behandelt.

Das Parlament kann und will auch gar nicht alle Detailfragen entscheiden, wie etwa die Festlegung von Krisenregionen oder die genaue Ausgestaltung der Teststrategie, wie dies die Reaktionsfähigkeit eines so großen Systems, wie des Bundestages überfordern, und dies ist in Art. 80 GG mit der Möglichkeit der Verordnungsermächtigung auch gesehen worden.

Von der Frage der gesetzlichen Regelungsmechanismen ist die Frage zu entscheiden, ob es mit Rücksicht auf die vielfältigen Aspekte und Veränderungen in der Pandemie, die sich in kurzer Zeit vollziehen, geboten sein könnte, die Thematik der Pandemie und die verschiedenen Wege des Vorgehens an höchster Stelle zu debattieren, um die verschieden politischen Standpunkte konzentriert deutlich zu machen.

Dies befürworte ich ausdrücklich und sie wird auch in der kommenden Sitzungswoche stattfinden und ist  eine wichtige Aufgabe des Parlaments, die aber auch nicht in jeder Woche durchgeführt werden kann und sollte, um den Wert dieser Debatte nicht zu reduzieren.

Noch am vergangenen Mittwoch wurde auch außerhalb der Sitzungswochen per Video eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses durchgeführt, in der noch von Bundesminister Jens Spahn MdB eine ausführliche Darstellung der Lage vorgenommen wurde. Alle Fraktionen hatten ausreichend Gelegenheit Fragen zu stellen und ihre Standpunkte zu verdeutlichen. Insofern haben insbesondere die Fachpolitiker eine breite Basis für eine politische Bewertung und jede Fraktion hätte jederzeit Gelegenheit Anträge einzubringen, um durch den Bundestag Beschlüsse zu fassen und die gesetzliche Grundlage zu verändern. Ich habe für mich und meine Fraktion, aber nach meiner Einschätzung auch für eine Reihe weitere Kollegen sprechen zu können, nicht den Eindruck, dass ein grundlegendes Demokratiedefizit festgestellt werden könnte.

Die Unterschiede bestehen in der Sache und auch in der Frage der Beurteilung von verschiedenen Aspekten der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen. Bei diesen Frage gibt es aber nach meiner klaren Meinung keineswegs ein unumstößliches Falsch oder Richtig, sondern es handelt sich ständigen Abwägungsprozeß. Aus gegebenen Anlass möchte ich auch zu der Kritik an meiner Aussage, dass Gesundheit ein hohes und nur schwer disponibles Gut sei, noch einmal betonen, daß sich keineswegs alles zwingend der Gesundheit unterordnen müsste. Bei einer erkennbaren und hohen Gefährdungslage für die Gesundheit des Einzelnen sehe ich nur ganz wenige Fallgestaltungen, daß diese hinzunehmen wären, weil sie für die Personen unwiderruflich Schäden auslösen können. Diese Bewertung folgt aus meiner tiefen Überzeugung auch aus dem Wertekatalog des Grundgesetzes. Sollte man dazu eine andere Auffassung vertreten sollte man diese aber auch am konkreten Fall durchdeklinieren und nicht einfach nur Zweifel aufbauen oder Generalkritik üben.

Wir befinden uns nicht in einer theoretischen Diskussion, sondern die Folgen der Maßnahmen und Bewertungen können jeden Tag an Hand der Infektionsberichte verfolgt werden. Es ist jetzt nicht die Zeit für politische Spekulationen, sondern für handfeste Realpolitik.