Berlin, 18. November 2020

Drittes Bevölkerungsschutzgesetz – Fakten und Klarstellungen

Dr. Georg Kippels – MdB
In Zusammenhang mit der Verabschiedung des sogenannten „Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ erreicht mich und meine Kolleginnen und Kollegen eine Vielzahl von Zuschriften, die ein großes Spektrum von Sorgen zum Ausdruck bringen. Sie reichen von ehrlicher bürgerschaftlicher Besorgnis auf der einen Seite bis hin zu höchst spekulativen, unwahren Beiträgen auf der anderen Seite. Im Kern eint diese Zuschriften, dass sie in den Neuerungen des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes einen Angriff auf unsere Demokratie und dauerhafte Grundrechtsbeschränkungen befürchten.

Ich habe Verständnis dafür, dass im Umgang mit einer bisher ungewohnten Pandemiesituation Fragen, Sorgen und teils sogar Ängste entstehen. Ich bemühe mich diese ernst zu nehmen und habe mich in den vergangenen Monaten immer wieder verschiedenen Anliegen angenommen, die sich mit dem Corona-Virus selbst oder den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesellschafts- und Wirtschaftsleben beschäftigten. Das möchte ich auch in der aktuellen Situation tun und an dieser Stelle Falschmeldungen und Missverständnissen entgegentreten.

Wir durchleben eine schwere Gesundheitskrise und wünschen uns alle nichts sehnlicher als zur Normalität zurückzukehren. Der Weg dahin ist und bleibt jedoch eine gemeinsame Anstrengung, die das Engagement jedes Einzelnen fordert. Dazu gehören die einfach einzuhaltenden Hygiene- und Abstandsregelungen, mit denen wir in Deutschland bereits seit Monaten gute Erfahrungen in der Pandemiebekämpfung machen. Das legen auch entsprechende Studien nahe, die beispielsweise belegen, dass sich das Corona-Virus am ehesten in geschlossenen Innenräumen von Mensch zu Mensch überträgt. Klar ist  aber auch, dass das bewusste Nichteinhalten der Corona-Regeln die Anstrengungen aller Anderen torpediert und damit zu Infektionsfällen und in letzter Konsequenz zu schweren Verläufen führen kann. Diese können in einigen wenigen Fällen den Tod der Erkrankten bedeuten. So drastisch muss man das auf den Punkt bringen, denn so drastisch stellt sich die Lage derzeit dar. Wir dürfen nicht zulassen, dass diejenigen, die sich an Regeln halten durch andere gefährdet, angesteckt oder schikaniert werden. Das hat etwas mit gelebter Zivilcourage zu tun und das ist grade wichtiger denn je.

Ich lade Sie deshalb ein sich mit den Tatsachen auseinanderzusetzen. Glauben Sie nicht alles, was Ihnen Populisten und Social-Media-Kampagnen zu erzählen versuchen. Informieren Sie sich selbst. Stellen Sie selbst fest, dass viele Behauptungen nicht den Tatsachen entsprechen (können). Um sich davon selbst zu überzeugen, können Sie den Gesetzestext in seiner aktuellsten Fassung öffentlich zugänglich unter https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923944.pdf einsehen. Um die geplanten Änderungen zu finden, die noch in das Gesetz eingehen sollen, schauen Sie in die sogenannte Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses. Diese Beschlussempfehlung finden Sie unter https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/243/1924334.pdf .

Häufig wird behauptet, dass Bundestag und Länderparlamente ihr Mitspracherecht dauerhaft abgeben würden, sollten sie dem Gesetz zustimmen. Dem ist nicht so. Der Bundestag kann die Befugnisse, die er durch ein Gesetz der Bundesregierung und den Landesregierungen eröffnet, jederzeit zurückholen. Das ist selbstverständlich auch beim 3. Bevölkerungsschutzgesetz der Fall. Außerdem kommen die Befugnisse nach § 28a Infektionsschutzgesetz (IfSG) nur zum Tragen, solange eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ vorliegt. Der Bundestag hat am 25. März 2020 über das Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite beschlossen und wird diese Feststellung am 18. November 2020 neuerlich bekräftigen. Genauso beschließt der Bundestag auch das Ende dieser epidemischen Lage, sobald diese nicht mehr besteht. Es besteht keine Pflicht des Bundestags, die epidemische Lage beizubehalten. Der Bundestag bleibt in seiner Entscheidung zu jedem Zeitpunkt frei.

Falsch ist auch die Behauptung, dass mit der Konkretisierung des Gesetzes jederzeit eine epidemische Lage nationaler Tragweite angeordnet werden könne. Dieses kommt ausschließlich nur in Betracht, wenn es sich um eine bedrohliche übertragbare Krankheit handelt, die sich zum Beispiel leicht von Mensch zu Mensch übertragen lässt. So mussten wir es beim Corona-Virus leider erleben. Glücklicherweise verläuft die Erkrankung bei der überwiegenden Zahl der Fälle mild. Die Wahrscheinlichkeit für schwere und tödliche Krankheitsverläufe nimmt aber mit zunehmendem Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu. Das individuelle Risiko kann jedoch anhand der epidemiologischen/statistischen Daten nicht abgeleitet werden. So kann es auch bei gesunden oder jungen Menschen zu schweren bis hin zu lebensbedrohlichen Krankheitsverläufen kommen. Langzeitfolgen sind derzeit noch nicht abschätzbar. Gerade weil wir noch immer nicht viel über dieses neuartige Virus wissen und wir bisher weder einen Impfstoff, noch eine wirksame Therapie haben, muss der Gesetzgeber alles für den Schutz der Bevölkerung tun.

Wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier können die Regelungen des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes jedoch jederzeit wieder ändern und auch die Befugnisse zum Erlass von Rechtsverordnungen wieder einschränken. Rechtstechnisch wird das im Übrigen als „Ermächtigung“ bezeichnet. Das bedeutet, dass ein Gesetzgeber – Bundestag oder Landtag – der ausführenden Gewalt – Bundesregierung, Landesregierung, Verwaltung – den Erlass einer Rechtsverordnung gestattet. Mit einer Ermächtigung im Sinne einer dauerhaften Übertragung von Befugnissen hat dies nichts zu tun, weil eine Ermächtigung zur Rechtsverordnung jederzeit rückgängig gemacht werden kann.

Die Befugnisse der Bundesregierung, Landesregierung oder Verwaltung zum Erlass solcher Rechtsverordnungen sind zeitlich immer befristet. Verordnungen des Bundes treten in diesem Fall mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Bundestag außer Kraft. Verordnungen der Länder gelten grundsätzlich nur vier Wochen. Da es sich um ein spezielles Corona-Gesetz handelt, steht die gesamte Regelung und deren Dauer unter dem Vorbehalt der Feststellung der pandemischen Lage nach dem neuen § 5 IftSchG, mit seinen Klarstellung oder der erkennbaren  Beendigung der Pandemie.

Vor diesem Hintergrund verbietet sich die Titulierung des 3. Bevölkerungsschutzgesetzes als „Ermächtigungsgesetz“. Diese Analogie zum sogenannten Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 ist nicht nur geschichtsvergessen, sondern auch im höchsten Maße unangebracht und grob falsch. Dieser Begriff ist im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie gezielt von (rechts-)radikalen Kräften instrumentalisiert worden. Er verhöhnt die Opfer des damaligen Gesetzes. Wer ihn bewusst einsetzt möchte die Demokratie nicht retten, sondern spalten.

Häufig begegnet mir auch die pauschale Aussage, dass der Bundestag die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger aushebeln wollen würde. Hier handelt es sich um eine Fehldarstellung, die leicht klargestellt werden kann. Richtig ist, dass Grundrechte nie unbeschränkt gewährleistet sind. Sie enden dort, wo die Grundrechte anderer beginnen. Das bedeutet, dass sie in einen sorgsamen Ausgleich gebracht werden müssen. Das ist schon immer so gewesen, kommt aber in der aktuellen Krise besonders deutlich zum Tragen. Das 3. Bevölkerungsschutzgesetz ändert nichts an diesen Grundsätzen. Der Bundestag beschließt im 3. Bevölkerungsschutzgesetz einen neuen § 28a Infektionsschutzgesetz (IfSG). Dieser definiert Schutzmaßnahmen speziell für die Situation der Corona-Pandemie und bestimmt Abstufungen je nach sog. „Inzidenzwerten“ pro 100.000 Einwohner, nach denen bestimmte Schweregrade von Schutzmaßnahmen in Betracht kommen. Für besonders grundrechtssensible Bereiche wie Versammlungen, Religionsausübung oder Besuche etwa in Seniorenheimen sieht der Paragraph klare zusätzliche Grenzen vor. Sie dürfen nur angewendet werden, wenn eine wirksame Eindämmung der Coronavirus-Infektionen trotz aller anderen Schutzmaßnahmen erheblich gefährdet wäre. Wenn die Verwaltung Schutzmaßnahmen per Rechtsverordnung ermöglicht, müssen solche Rechtsverordnungen begründet und auf maximal vier Wochen befristet werden. Im Übrigen müssen die angeordneten Maßnahmen ihrerseits verhältnismäßig sein; das heißt, es muss geprüft und entschieden werden, ob diese Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind. Es muss abgewogen werden zwischen den Grundrechten auf Leben und körperliche Unversehrtheit einerseits und den Freiheitsrechten andererseits. Zu Wahrung beider ist der Staat verpflichtet.

In den letzten Tagen wurde in Fach- und Medienkreisen vermehrt über einen baldigen Impfstoff gegen das Coronavirus diskutiert. Im Zusammenhang damit entstand die Sorge über eine Corona-Impflicht bzw. über eine indirekte Impfpflicht im Rahmen eines Immunitätsausweises. An dieser Stelle möchte ich nochmals darauf hinweisen, dass weder die Bundesregierung noch die Unions-Fraktion eine Impfpflicht einzuführen gedenkt. Auch mit dem 3. Bevölkerungsschutzgesetz wird es keine Impfpflicht geben. Das Gesetz schafft lediglich die Voraussetzungen, damit der Impfstoff, wenn er verfügbar ist, all denjenigen schnellstmöglich zur Verfügung gestellt werden kann, die sich impfen lassen möchten. Es wird nicht sofort ausreichend Impfstoff geben, weshalb wir ein Impfkonzept erstellen. Wir sind zuversichtlich, dass wir eine ausreichend hohe Impfstoffquote freiwillig erreichen werden. Schon heute sehen wir eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, um sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen. Da das Zulassungsverfahren in Deutschland sehr streng ist, müssen in der Regel auch keine Nebenwirkungen befürchtet werden.

Im Übrigen wird keiner Bürgerin und keinem Bürger die Einreise nach Deutschland verweigert, weil keine Impfung gegen das Coronavirus vorliegt. Vielmehr könnte man mit einer Impfdokumentation Quarantänemaßnahmen nach der Einreise umgehen.

Ich hoffe, dass ich mit diesen Klarstellungen Sorgen ausräumen und eventuell offene Fragen beantworten konnte. Ich übe mein Amt im Namen meiner Wählerinnen und Wähler im Rhein-Erft-Kreis I aus und tue dies jeden Tag mit der größtmöglichen Sorgfalt. Abgeordnete leisten im Übrigen keinen Amtseid, da sie kein staatliches Amt ausüben. Wir verfügen über ein freies Mandat. Art.38 Abs.1 S. 2. GG formuliert deshalb: „Sie [die Abgeordneten des Deutschen Bundestages] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“ Meine Entscheidung für das 3. Bevölkerungsschutzgesetz habe ich deshalb nach Besten Wissen und Gewissen getroffen.